Danke für die weite Aussicht


Also doch: Man wird immer noch vor großen Monitoren sitzen, vielleicht Monitore mit 3D oder werden gar bunte Hologramme mit dir sprechen? Aber immerhin: Man wird trotzdem noch selbst kommen, wird sich noch aufmachen, eine Reise tun – wie es ganz, ganz früher einmal hieß – um persönlich das Universitätsarchiv aufzusuchen. Nein, der Archivar oder die Archivarin werden in den Vitrinen am Eingang keine antiken  Papierakten zur Schau stellen. Nein, es wird keine melancholische Reminiszenzen an die gute alte Zeit geben, als die Archivnutzer sich noch über Stunden, über Tage und Wochen in hohe Stapel von Papierakten vergruben, um hieraus neue Erkenntnisse zu ziehen. (Oder als die Archivare mit gespielter Leidensmiene diese Stapel noch hin und her trugen.) Denn im Universitätsarchiv ist inzwischen anderes zu tun.

Die enormen Datenmengen, die eine Universität seit Jahrzehnten bis dato produziert hat und weiterhin und immer mehr generiert, ergänzt, ändert, löscht, hinterlässt: Sie gilt es zu sichern, aufzubereiten, zu strukturieren und zu bewerten. Es gilt, die Daten für die Nachwelt zu erhalten, sie nutzbar machen für die historische Forschung. Was ist aufzuheben? Was ist nur Datenmüll und wird es in Zukunft auch bleiben? Es ist zu klären, wem die Verwertungsrechte gehören, welche Daten personenbezogen und deshalb besonders schützenswert sind und unter welchen rechtlichen Voraussetzungen einem Nutzer die entsprechenden Hologramme gezeigt werden dürfen. In welchen Datenformaten sichert man die digitalen Informationen und mit welchen Techniken gewährt man Zugang?

Ist das alles nicht sehr trocken, was Sie da machen? Keineswegs, höre ich mich sagen. (Wieder so ein schönes altes Wort…) Schauen Sie, nach wie vor ist es unsere Aufgabe, die Dokumente, ob nun digital oder auf Papier, in der Weise für die Nutzung zu erschließen, dass Sie und alle unsere Nutzer auch das finden können, wonach Sie suchen. Früher nahm man jedes Archivale in die Hand, schaute hinein, las mal hier, mal dort und machte dann ganz schlicht seinen Datenbankeintrag. Heute ist es viel interessanter, an unseren automatisierten Recherchetools weiter zu stricken. Wir haben da viel von Google und Co. gelernt, vor allem, wie man es nicht machen sollte… (Der Archivbesucher wirkt etwas gelangweilt. Ich spüre, dass er meinen Redeschwall stoppen und eigentlich jetzt mit seinen Recherchen beginnen will.) Jedenfalls, sagt er, finde ich diesen Ausblick aus dem Lesesaal des Archivs ganz phantastisch! Der Blick ins Grüne, in den Park, in die Weite… Da kann man zur Ruhe kommen und vor allen Dingen: zum klaren Denken. Und beim Reinkommen habe ich gesehen: Es gibt im Hause sogar ein Café… Ja, denke ich, die IT, das ist schon nicht wenig, ein Café dagegen aber schon viel, Selbst-Denken aber letztlich Alles.

Norbert Becker, UB Stuttgart, Leiter des Universitätsarchivs